Samstag, 11. Juni 2016

Der aller Letzte macht dann das Licht aus

Brasilien: Interimsregierung verzeichnet weitere Abgänge – Haft für Politprominenz beantragt


Das politische Erdbeben in Brasilien hat an Heftigkeit weiter zugenommen. Die Superlative werden langsam knapp. Ein Antrag des Generalstaatsanwalts Rodrigo Janot fordert die Festnahme von vier konservativen Spitzenpolitikern. Ihre Freiheit verlieren sollen demnach nach Medienberichten Senatspräsident Renan Calheiros, Senator Romero Jucá und selbst der frühere Staatschef José Sarney. Vor dem 86-Jährigen Sarney soll die Allgemeinheit dabei durch Hausarrest mit elektronischer Überwachung geschützt werden. Den dreien wird zur Last gelegt, die Arbeit der Ju­stiz im Korruptionsskandal um den Petrobras-Ölkonzern, die Operation »Lava Jato«, torpedieren zu wollen.

Klare Hinweise darauf liefern aufgezeichnete Telefonate des Petrobras-Managers Sérgio Machado mit diesen Politikern. Machado hatte sich mit kompromittierendem Material bevorratet und vereinbarte mittlerweile mit der Justiz einen Deal über eine erhebliche Strafmilderung gegen Aussagen. Der vierte im Bunde der Beschuldigten ist der suspendierte Parlamentspräsident Eduardo Cunha, dem Janot außer Korruption besonders zur Last legt, sich trotz Verbots weiter in die Geschäfte des Abgeordnetenhauses einzumischen. In dessen Ethikrat wird gegenwärtig über den endgültigen Entzug von Cunhas ebenfalls ruhendem Abgeordnetenmandat beraten. Der evangelikale Hardliner hatte das Parlament über die Existenz seiner millionenschweren Schweizer Schwarzgeldkonten belogen. Aber vielleicht ist der für Janots Anträge zuständige Oberste Richter Teori Zavascki doch etwas schneller als dieses Gremium. Eine Mehrheit der Abgeordneten des Unterhauses hat selbst Sorgen mit der Justiz und kann sich in Cunhas Lage einfühlen. Alle Verdächtigen gehören der Partei der Demokratischen Bewegung (PMDB) von Interimsstaatschef Michel Temer an. Nach seinem Antritt am 12. Mai aufgrund der Einleitung eines Amtsenthebungsverfahrens gegen Präsidentin Dilma Rousseff von der Arbeiterpartei (PT) formierte Rousseffs abtrünniger Vize eine »Regierung der nationalen Rettung« und leitete eine scharfe politische Rechtswende ein. Etliche seiner Kabinettsmitglieder stecken tief im Korruptionssumpf. Im Zuge des Abhörskandals mußte bereits Romero Jucá sein Amt als Planungsminister räumen, am Montag folgte sein Mann für Transparenz, Fabiano Silveira. Selbst der soll verdunkelt haben.



Sowohl von der Generalstaatsanwaltschaft als auch vom Gerichtshof werden die Verfahren als Geheimsache behandelt. Es ist kein Zufall, daß dennoch in den großen Medien von ihnen berichtet wird. Die vier Beschuldigten auf Janots Liste waren alle, auch das geht aus den Aufzeichnungen hervor, führend am Komplott zum Sturz von Rousseff und ihrer Regierung mittels eines fadenscheinig mit der Schönung des Haushalts begründeten Amtsenthebungsverfahrens involviert. Mit Rückendeckung aus hohen Kreisen der Justiz und des Militärs. Die vom Generalstaatsanwalt bereits im Dezember 2015 geforderte Suspendierung von Eduardo Cunha, der als Pate des Parlaments die Strippen beim »Impeachment« zog, erfolgte erst, nachdem dieses das Unterhaus passiert hatte. Gegen Cunha liegen etliche Aussagen vor, der Empfänger und Verteiler von Bestechungsgeldern zu sein, mindestens vier Untersuchungen im Lava-Jato-Skandal betreffen ihn direkt. Daß das neue Kapitel im brasilianischen Gangsterstück dem Sieg der Gerechtigkeit Vorschub leistet, ist längst nicht gesagt. Eine Implosion der traditionellen Politikelite verlagert die Macht hin zum Komplex aus Medien und politisch einäugigen Justizkreisen, kann den Boden bereiten für eine »technokratische Lösung« oder rechte Populisten. Zudem können die Verfahren gegen abgetakelte Vertreter der Kaste als Alibi dienen, um Rousseffs Vorgänger Lula da Silva – als immer noch populärsten PT-Politiker mit Aussichten bei den Präsidentschaftswahlen 2018 – antastbar zu machen. Gegen diesen wird, ohne Indizien mit Substanz, eifrig ermittelt.

Mitte August wird im Senat abschließend über die Amtsenthebung von Rousseff entschieden. Würde sie ins Amt zurückkehren, bliebe die politische Blockade im Parlament bestehen. Der Kampf gegen den institutionellen Putsch und für echte politische Reformen hat sich auf die Straßen Brasiliens verlagert. Für den gestrigen Freitag waren landesweit Großdemonstrationen der sozialen Bewegungen, Gewerkschaften und linken Parteien gegen die Regierung Temer und ihr soziales Kahlschlagsprogramm angekündigt.

Quelle: http://www.zlv.lu/

Peter Steiniger

 Freitag 10. Juni 2016


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